Es existiert über 30 Jahre nach 1989 weiterhin kein einziger Lehrstuhl für DDR-Geschichte. Das führt auch dazu, dass die Beschäftigung mit DDR-Geschichte für Nachwuchswissenschaftler_innen nicht attraktiv ist. In der Konsequenz ist die DDR-Geschichte sträflich unterrepräsentiert und das Wissen über die Geschichte der SED-Diktatur unzureichend. Gerade in den ostdeutschen Bundesländern ist dieser Zustand für die Bürgerrechtspartei Bündnis 90/Die Grünen nicht hinnehmbar.
Kapitel: | Kapitel 2: Gerechtes Miteinander stärken |
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Antragsteller*in: | Paula Louise Piechotta (KV Leipzig) |
Status: | Geprüft |
Verfahrensvorschlag: | Vorschlag LaVo: Verschiebung in Antrag 5 (Kap. 4) und modifiziert, dort Ä54 |
Eingereicht: | 26.01.2024, 15:04 |
Kommentare
Andreas Spranger:
Der Schutz der Freiheit der Hochschulen und deren Selbstverwaltung ist eine Säule der demokratischen Bildung sowie der demokratischen Partizipation. Nicht umsonst steht diese auch an Platz eins der Dienstaufgaben der Hochschullehrer*innen im sächs. Hochschulgesetz (§67 III Nr 1 HSFG).
Zudem sehen wird die Gefahr gesehen, einen Präzedenzfall zu schaffen. Entsprechend, dass sich politische Kräfte eigene Professuren bzw Lehrstühle in der Hochschulen schaffen können und so einerseits Einfluss auf die Hochschulen nehmen könnten, andererseits sich durch dienstwillige Forschende Daten nach eigenem Gusto wissenschaftlich erscheinen lassen können, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen.
Zur Forschung über Totalitarismus in den 1990-iger wurde in Dresden das HAIT geschaffen, dass uA auch zur DDR forscht. Inwiefern dies keine attraktive Möglichkeit für Nachwuchsforschende sein soll, ist von der Antragstellerin noch zu beweisen, vor allem da es viele abgeschlossene Projekte und auch derzeit aktuell laufende Forschungsvorhaben zum Thema der DDR gibt.
https://hait.tu-dresden.de/ext/forschung/forschungsfeld-1/
Dieses Institut arbeitet mit den Lehrenden und Forschenden der TU Dresden einer besagten Volluniveristäten Sachsens eng in Sachen Lehre und Forschung zusammen.
Ulrike Böhm:
Ich unterstütze diesen Änderungsantrag aus voller Überzeugung.
Anne Cornelia Kenneweg:
Anna Katharina Lill:
Wie von der LAG Hochschule angemerkt, existieren an den Sächsischen Hochschulen durchaus Projekte, auch Dissertationsprojekte, die sich mit der Geschichte der DDR und mittlerweile vor allem auch mit der Transformationsgeschichte ab 1990 befassen. An der Universität Leipzig wurde etwa eine Forschungsstelle Transformationsgeschichte begründet, die verschiedene Forschungen in diesem Bereich vernetzt (https://forschungsstelle-transformationsgeschichte.de/). Solche Ansätze können sicher noch ausgebaut werden, es ist aber nicht so, dass die Thematik an den entsprechenden Lehrstühlen nicht präsent wäre, eher im Gegenteil. Ich nehme dementsprechend auch nicht wahr, dass DDR- oder Transformationsthemen für Promovierende unattraktiv wären.
Dass es bisher keinen eigenen Lehrstuhl für DDR-Geschichte gibt, mag auch darin begründet sein, dass es in der Geschichtswissenschaft absolut unüblich ist, Lehrstühle derart auf historische politische Systeme zu spezifizieren. So ist mir etwa auch kein Lehrstuhl für die Geschichte der BRD, des Nationalsozialismus oder des Kaiserreichs bekannt. In der Regel werden Lehrstühle nach Epochen (Zeitgeschichte, Mittelalter usw.), Methoden (Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Totalitarismusforschung usw.) oder Regionen (Osteuropäische Geschichte) konkretisiert. Natürlich lassen sich hier durch entsprechende Berufungen inhaltliche Schwerpunkte setzen, dies liegt aber in der Hand der Universitäten.
Zuletzt sei noch angemerkt, dass der historischen Forschung mit einer soliden Grundfinanzierung eher gedient wäre als mit einem zustätzlichen Lehrstuhl. Derzeit gestaltet sich die Situation so, dass für einen Lehrstuhl die Professur über den Haushalt finanziert ist sowie ein bis zwei Stellen für Wissenschaftliche Mitarbeitende, dazu kommt noch eine Teilstelle Sekretariat. Damit kann kaum die Lehre abgedeckt werden. Die allermeisten Forschenden sind über Drittmittel, Stipendien oder Sonderprogramme wie SFBs und Graduiertenkollegs finanziert, die wiederum von der DFG o.ä. getragen werden. Wären die Historischen Seminare auskömmlicher finanziert, ließe sich vielleicht auch mehr Öffentlichkeitswirksamkeit herstellen. Allerdings sei auch hier darauf verwiesen, dass die Universitäten zwar forschen und insbesondere Lehrer ausbilden, die eigentliche Geschichtsvermittlung aber an anderen Stellen (Schulen, Museen, Gedenkstätten, historisch-politische Bildung) angesiedelt ist.
Lange Rede, kurzer Sinn - ich sehe hier andere Stellschrauben, die im Sinne einer verstärkten Aufarbeitung der SED-Diktatur, die ja ohne Frage ein wichtiges Anliegen ist, vielleicht eher zu Erfolgen führen könnten als die Einrichtung eines zusätzlichen Lehrstuhls.
Anne Cornelia Kenneweg:
Einen einzelne Professur halte ich auch für das falsche Instrument für eine letztlich erinnerungspolitische Forderung. Welche anderen Stellschrauben sinnvoll sind und was ein sinnvoller hochschul- und wissenschaftspolitischer Beitrag für das grundsätzlich richtige Anliegen sein könnte, sollte gesondert diskutiert werden.